Die Nachkriegszeit ist vorbei

 

 

 

 


Die Nachkriegszeit ist vorbei? Aber wissen das alle?

Rainer Nowotny;   Oktober 2020

Innovationen sind die Triebkräfte einer wirtschaftlichen Zukunft.
Die Innovationen der Nachkriegszeit, des Wirtschaftswunders bis zum Ende des 20. Jahrhunderts festigten 1. klassische Wirtschaftszweige der deutschen Industriealisierung ab 1871; Kohle und Stahl, Automobil- und Maschinenbau, Elektrizität und so weiter, und sie etablierten 2. jene Nachkriegs-Wirtschaftszweige, die aus den Neuerungen um 1936 entstanden wie Chemieindustrie, Mikroelektronik, Atomindustrie etc.

Aber wie steht es in Deutschland mit Innovationen in die Wirtschaftszweige des 21. Jahrhunderts?
Offenbar gehören diese Innovationen anderen Gegenden.

Die Industrie der Nachkriegszeit ist gekennzeichnet von

  1. billiger Herstellung und
  2. schier unerschöpflich billigen Ressourcen

Doch siehe: Ihre Zeit wird begrenzt sein.

Beispiele Asbest
1874 entstand in Frankfurt die erste Asbestfabrik. 100 Jahre schwärmten alle vom Asbest. In den Jahren von 1969 bis 1995 wurde Asbest schrittweises verboten.

Beispiel Glasfaser
1936 gelang es, im Stabtrommelabziehverfahren erstmals preiswert Glasfaser herzustellen. Kraft Gesetz gilt es noch immer als „gesundheitlich unbedenklich“.

Jegliches hat seine Zeit.

Beispiel Rigips
1936 wurde Gips erstmals aus Braunkohle-Rauchgas gewonnen, als Nebenprodukt eines Kraftwerkfiltersystems in Peenemünde.
Rigips wird es in Deutschland vermutlich noch bis 2038 geben.

Beispiel Nukleare Energie
1938 entdeckten Hahn und Meitner die Kernspaltung. Das erste Kernkraftwerk ging 1954 in Russland ans Netz. In Deutschland wurden die letzten Kernkraftwerke 2023 außer Betrieb genommen.

Einige Nachkriegsbaustoffe sind immer noch sehr beliegt.

Beispiel Formaldehyd, Melamin, Polyurethan und Epoxidharz
1907 wurde die Herstellung von Phenolharz erfunden, 1937 die von Polyurethan, 1938 die von Melaminharz und 1939 die von Epoxidharz.
Diese sind wesentlicher Bestandteil vieler Verbundbauteile, auch in Mineralwoll-Matten, OSB-Platten und Spanplatten. Die Emission nicht unproblematischer Stoffe in der Postreaktionsphase machen diese Duromere gesundheitlich mindestens fragwürdig.

Beispiel Geschäumtes Vinylbenzol
1931 wurde Polystyrol erfunden; seit 1949 wird dieses zu Styropor aufgeschäumt. Herstellung und Schaumbildung geraten zunehmend in die Klimakritik aufgrund freiwerdender Klimagase bei der Herstellung.

Beispiel Expandiertes Polyester und expandierte Polyurethane
Auch aus Polyester, Polyurethanen und vielen andere Entwicklungen wurden sehr bald Schaumstoffe entwickelt, die ihre zivile Marktreife nach 1945 erhielten.

Einigen Nachkriegsbaustoffen werden die billigen Rohstoffe ausgehen.
Nicht nur dem Gips aus Braunkohlekraftwerken.

Rohstoffe und deren Logistik werden teurer, namentlich das Erdöl.

Sicherlich werden einige Nachkriegsbaustoffe alsbald aus Gesundheitsbedenken verboten.
Wie und wann die Politik sich hier entscheidet, ist schwer abzuschätzen und oft nicht nachvollzieharbar.

Das eigentlich große Problem ist jedoch die Entsorgung.
Es gibt derzeit keine langfristigen Konzepte zur Entsorgung von:

  • Asbesthaltigem Bauschutt
  • Formaldehydhaltigen Platten und Matten
  • Geschäumten Kunststoffen sowie
  • Verbundbauteilen mit Glas- und Carbonfasern.

Es besteht ebensowenig Aussicht, dass sich daran etwas ändern wird.


Doch sei einmal ganz vorn begonnen.

Gab es Entsorgungsprobleme schon immer?
Vielleicht.
Sicherlich aber nicht so problematisch wie heute.

Also sei die Entwicklung etwas genauer betrachtet:

Aus der Nutzung der eigenen Ressourcen,
früher den Kindern und Enkeln verpflichtet,
wurde mit dem Griff nach fremden Vorkommen —
zäh und kalt die Plünderung von Ressourcen.

Eroberungen, Plündern, Raub und Diebstahl
gab es, seit Zwietracht unter die Menschen kam,
seit Neid und Geiz und Gier über uns herfiel.

Vom Altertum bis ins Mittelalter wurden Gebiete besetzt oder zum Tribut gezwungen.
So ähnlich war es auch um die Zeit, als Türken und Russen im Zurückdrängen der Mongolen in Eurasien mächtig wurden. Diese Jahre um 1492 sind Jahre geschichtlicher Konzentration.


Zunächst gründeten Portugiesen Niederlassungen in Afrika. Da begannen die europäischen Seemächte aus fernen Ländern fremden Reichtum heimzubringen. Nicht nur einmalig zu plündern, sondern langfristig und systematisch anzueignen und die Ressourcen einzuverleiben.
1492 greift Spanien nach Mittelamerika. Die Portugiesen segeln nach Indien. Die Niederlande, Frankreich und England folgen. Kolonien wurden zunächst Stützpunkte, doch sehr bald folgt der Kolonialismus als Ausbeutung und Unterwerfung einer neuen Art.

Ferne wurde überwunden.

Mit dem Kolonialismus beginnt die überproportionale Bereitstellung industrieller Rohstoffe, den Ressourcen der Kolonien, und dieses rechtfertigt somit die Ausprägung der Industrie und bereitet so die ersten technischen Revolution um 1764 vor.

Dieses Jahr 1764 steht den Ökonomen für die industrielle Revolution, doch ist dieser Ausdruck irreführend. Vielmehr ist es eine technische Revolution.

Immerhin, das Industriezeitalter beginnt.
Der Kapitalismus erstrahlt.

Und mit diesem beginnt auch der Überfluss an billigen Produkten — verbunden mit dem Irrglaube der Unerschöpflichkeit von Ressourcen.

Hier verschwindet zum ersten Mal die geistige Verbindung der Erzeugung und Gewinnung von Rohstoffen und der Produktion von Erzeugnissen. Dieses Zerreißen der geistigen Verbindung von Ressourcennutzung, Produktion und Geschäfte-Machen charakterisiert die industrielle Kolonialgesellschaft bis in die große Zeit des Kapitalismus. Schließlich so lange, bis er 1914 in eine schwere Krise fällt.

Eine zweite technische Revolution, die in die Zeit um 1936 fällt, löst diese Krise.

Die technischen Erfindungen um 1936 setzen neue Potentiale der industriellen Entfaltung frei. Diese Erfindungen basieren nicht mehr unmittelbar auf kolonialen Rohstoffbezügen, sondern auf eigenen Möglichkeiten.

Mit einer großen Ausnahme: Erdöl.

Bis 1914 war Benzin ein Mittel für das schöne Hobby eines Automobils. 1914 wurde Benzin mit einem Schlag wichtigster Kraftstoff des Krieges.
Und der Krieg bestimmt oft, wie es weiter geht.
Die Erfindung von Polymeren und die Entwicklung der Herstellung eröffnen ein polymeres Zeitalter. Die Kunststoffentwicklungen von 1936 waren zunächst kriegswichtig und begannen nach 1945 ihren zivilen Siegeszug.

Die Rohstoffplünderungen hingegen setzten sich fort mit Kriegen und Vorherrschaftskämpfen der Kolonialmächte untereinander und jenen, die es wieder werden wollten, bis diese Ordnung 1945 zusammenbrach. Politisch steht das Jahr 1945 für einen Wendepunkt: Die Großmächte Türkei, England und Frankreich verabschiedeten sich. Deutschland und Japan wurden besiegt und besetzt. Allein Russland blieb mächtig. Die USA trat als Militärmacht hervor. Unterworfene Länder erkämpften sich ihre politische Unabhängigkeit.

Die Kolonien befreiten sich.

Wirtschaftlich hingegen schien Einiges zu überdauern:
Die billigen Importe aus den ehemaligen Kolonien und unterdrückten Gebieten blieben Quelle des Reichtums der militärisch Stärkeren. Aus den alten Kolonien wurden Absatzmärkte und frei handelnde Rohstoffquellen. Beides mit historisch fundamentierter Profitsicherung.

Mit diesem zweiten kapitalistischen Aufschwung nach 1945 traten neue Widersprüche hervor, die heute sehr bedrohlich stimmen. Zwar, der Zerfall der Wirtschaftssysteme in Osteuropa um 1989 begünstigte den Abbau der akkumulierten Überproduktion, doch nach der Sättigung dieser Märkte in den zunächst zerfallenen Staaten der Nachkriegsordnung und nach der Etablierung neuer Wirtschaftssysteme in diesen Staaten wurde die Überproduktion weiter betrieben und verschärfte die Probleme.

Der Widerspruch zwischen billig herzustellenden und gut vermarktbaren Massenprodukten und dem Problem der schnellen Überlebtheit riesiger Produktfelder offenbarte sich immer deutlicher. Dieser Widerspruch hat eine stetige Beschleunigung zur Folge.

Ein weiterer Widerspruch offenbarte sich: "Je stärker eine Ressource ausgebeutet wird, desto schwieriger wird ihr Zugang" und umso teurer ist damit der Zugang zu ihr.

Die einzigen Bodenschätze, die heute noch ohne schwere Maschinen gewonnen werden können, sind Wasser, Ackerboden, Sand und Gestein. Alle Bodenschätze, die unter der Erde lagern, sind bis in derartige Tiefen ausgebeutet oder beschränken sich nunmehr auf derart schwierige Gebiete, dass, müsste die Menschheit ein zweites Mal beginnen, diese Bodenschätze schier unerreichbar wären.

Erdölbohrungen werden immer tiefer; teilweise wird schon in der Tiefsee gepflügt. Erze und Edelmetalle bieten sich nur noch in wenigen Gegenden an. Riesige Erdmassen müssen bewegt werden. Flüsse werden verunreinigt, Landschaften vergiftet. Ein Ende der Phosphorvorkommen ist weltweit sehr bald abzusehen.

Ein Widerspruch, der hier weiter interessiert, ist der Widerspruch zwischen dem freien Wachsen der Industrieproduktion und der Entsorgung für die überproduzierten Erzeugnisse, sowie jene, die für eine Inverkehrbringung der Überproduktion zunächst entsorgt werden müssen.

Daraus resultiert weiter der Widerspruch zwischen der stetig wachsenden Überproduktion und dem Fehlen jeglicher langfristiger Entsorgungsidee.

Bisher wird radioaktiver Müll gesammelt und späteren Generationen überantwortet. Bisher wird Asbest und Glasfaser vergraben und späteren Deponiewächtern überantwortet. Bisher wird Plastik bestenfalls unter besonderen Schutzvorschriften verbrannt. Recycling ist zu großen Teilen Propaganda. Lediglich innerhalb industrieller Ketten werden Rohstoffe mehrfach verwendet und gelangen demnach später in den Müll.

Ein Widerspruch der heutigen Gesellschaft ist das ungehemmte Plündern der Ressourcen einerseits und die Überproduktion und Ressourcenverschwendung andererseits.

Aus übermäßiger Überproduktion entsteht das Phänomen der Entsorgung von Überproduktion.

Insbesondere wenn die Halbwertzeit der Entsorgungsprodukte kleiner als die Akkumulation der Überproduktion ist, also die Überproduktion ihre Entsorgung überholt.

Damit ist das Problem der Entsorgung stärker wachsend als das Problem der Ressourcenzugänglichkeit. In dieser Überholung findet die Zerstörung des Lebensraumes statt.

Nicht zu vergessen das Phänomen des Mikroplastiks, nicht nur aus Abriebprodukten oder Anstrichen, auch aus Plastikfasern und aus Plastikschäumen und insbesondere im Prozess des Zerfalls, der erst in einigen Jahrhunderten bemerkbar sein wird.

Was könnte helfen?
Der komplette Ausstieg aus der Überproduktion?
Wollen wir nicht verzichten, so müssen wir uns zur Disziplin verpflichten. Disziplin aber bedeutet Verzicht auf Demokratie.

Da der Kapitalismus aber weder auf das eine noch auf das andere verzichten wird; und da einzelne Menschen nicht auf Privilegien und Wohlstand verzichten werden, muss es notgedrungen in ein Zerwürfnis führen und in einer Zerstörung enden.