Der Aralsee ist überall
Im Oktober 2021 durfte ich mit einer Gruppe befreundeter Unternehmer und Wissenschaftlerinnen die ehemals üppigen Deltas des Ili und des Amu Darya, sowie den ehemaligen Aralsee in Kasachstan und Usbekistan besichtigen.
Denen diese Länder wenig bekannt sind, sei kurz gesagt, dass es sich um moderne Staaten mit großer, alter Kultur handelt, religiös durch einen friedfertigen Islam geprägt, technologisch mit China und Russland eng verbunden. Die Exportwirtschaft stützt sich auf Erdöl, Baumwolle und Tierhaarwolle. Natürlich gibt es in jeder noch so entlegenen Steppe Internetempfang und in den großen Städten freies WLAN. Davon kann Deutschland nur träumen.
Entlang der Seidenstraße schufen Handel und Handwerk Reichtum und Kultur.
Ab 1822 begann die russische Eroberung Kasachstans und Usbekistans.
Die Textilindustrie Englands rang, Monopolist von Baumwolle zu bleiben.
Diesen Status nicht untergraben zu lassen, zettelte Großbritanien die
Opiumkriege 1839 gegen China an und versuchte zeitgleich nach Afghanistan
vorzudringen, um dem russischen Bestreben nach zentralasiatischer Baumwolle
entgegen zu marschieren, was bekanntlich in einem Disaster endete.
1868 unterlag das Emirats von Buchara den russischen Truppen. Zentralasien
belieferte nun die rasch wachsenden russischen Textilfabriken. Das
Baumwoll-Handels-Monopol teilte sich das Britische Empire nun mit Russland,
wenn auch weit abgeschlagen. China produzierte nur für den eigenen Markt.
Die weltweite Industrialisierung beförderte den Baumwollbedarf und machte
auch Russland reich.
1919 eroberten die Bolschewiki Buchara.
Nach dem Vorbild des Weißmeer-Ostsee-Kanals, erbaut 1931-1933, folgten
riesige Kanal- und Bewässerungsprojekte in Kasachstan, Usbekistan und
Turkmenistan, die Gebiete Tadschikistan und Kirgistan einbeziehend.
1948 plante man gar, die sibirischen Flüsse Ob und Jenissei in das Kaspische
Meer umzuleiten.
Was mich bewegte: Als Student noch staunte ich über die überall in Moskau und Leningrad feilgebotenen Fischkonserven aus dem Аральское море.
Im Delta des Ili war vor Jahrtausenden endemisch der Hanf beheimatet. Die weiten, kargen Steppen der Viehzucht vorbehalten, reiften in den Deltas Früchte und natürlich wurde auch Baumwolle angebaut, je nach Breitengrad standen Maulbeerbäume für die Seidenproduktion.
Inzwischen ist die Konservenfabrik lange schon Geschichte. Den riesige Aralsee gibt es nicht mehr, die fruchtbaren Deltas des Schem (Emba), des Ili, des Tschüi, des Amu Darya und vieler anderer Zuflüsse der großen Binnenseen sind nahezu ausgetrocknet. Eine Kruste aus Salz überzieht jetzt jene Felder, die über Jahrzehnte hinweg bewässert wurden, um Baumwolle zu erzeugen.
Während der Bewässerungszeit öffnet man die Zuführkanäle und Kanälchen, das Wasser in die eben gezogenen Furchen zu führen. Das Wasser versickert in die oberen Bodenschichten. Salze in den Versickerungsschichten dissoziieren in diesem Versicherungswasser. Wenn nun aus den oberen Bodenschichten Feuchtigkeit verdunstet, steigt Wasser aus unteren Schichten kapillar - dem Gleichgewicht der Evaporationsdruckdifferenz folgend - in die oberen Schichten. Dabei bringt dieser kapillare Wassertransport das dissoziierte Salz mit. Wenn dieses Wasser dann an der Oberfläche wieder verdunstet, bleibt das Salz zurück.
Den einstmals reichen Länder Zentralasiens, zwar überaus hart sind die Winter, überaus heiß die Sommer, doch reich die Flussdeltas, Reichtum spendend die Binnenseen, Reichtum schaffend das Handwerk entlang der Seidenstraße, diesen ist der friedliche Reichtum genommen.
Wo bleibt das Wasser?
Der Aralsee mahnt als Symbol
Wasser plündern, wird immer bestraft
Der Gier erliegen, wird bestraft.
Als der Wasserspiegel sank vor 60 Jahren, sagten die Funktionäre: Die Binnenseen der großen Steppe schwinden bald, bald wachsen sie wieder; das war immer so.
Als die Küste zurück ging vor 50 Jahren, sagten die Verantwortlichen: Ein bisschen geht noch.
Das wird überall auf der Erde so gesagt. Überall.
Als man sich endlich entschloss, Maßnahmen zu ergreifen, war die Beschleunigung nicht mehr zu bremsen. Es verschwand nicht nur das Wasser des riesigen Binnensees, es verdunstet auch das Wasser des Sandes unter und um den See, dass wie ein gesättigter Schwamm das Becken bildet, den See zu füllen.
Der Regen in der gesamten Region bleibt aus.
Klimawandel?
Ja sicher! Das Klima wandelt sich im großen Umfeld um den Aralsee, genau wie rings um die vielen anderen Katastrophen menschlicher Gier.
Fast überall herrscht lokaler Klimawandel, denn fast überall herrscht die Gier.
Brachte die bewässerte Baumwollproduktion so viel mehr ein, dass der Reichtum des fischreichen Aralsees vernichtet werden durfte.
Bringen die Weizen- und Mais- und Sojaerträge so viel Nutzen, dass wir weltweit die Ackerböden mit Chemikalien verpesten?
Der mächtige Uralfluss im Norden ist nur noch ein Flüsschen, die riesigen Flüsse Amu-Darya, Syrdarja, Tschüi, Ili u.a., die von den asiatischen Hochgebirgen nach Zentralasien kommen, versiegen auf den Baumwollfeldern. Der Aralsee ist ausgetrocknet, der kaspische See zieht sich langsam zurück, die Regenwälder werden abgeholzt für den Wohlstand Europas und Nordamerikas, dem Durst weltweit. In Nigeria, in Südafrika, in Chile werden Erze gewonnen und giftige Halden hinterlassen, niemals mehr für Menschen bewohnbar.
Wir in Europa betonieren unsere freien Flächen und vergraben Betonklötze, nennen sie Fundamente der erneuerbaren Energie, diese werden bis in ferne geologische Zeiten unter unseren Äckern ruhen. Erst wenn in vielen Millionen Jahren Gebirge sich erleben, wo heute nordeuropäisches Flachland sich erstreckt, werden diese Gebirgszüge die Betonklötze heben und zum Vorschein bringen.
CO2 trägt nur einen kleinen Teil der Verantwortung für einen Wandel des Klimas. Viel arger ist der Eingriff des Menschen in die Natur, in die Wasserkreisläufe, durch die Versiegelung unserer Flächen, durch die Abholzung der Wälder, durch die Hinterlassenschaft aus Bergbau und Erdölpumpstationen.
Erdöl wird aus den Tiefen des Meeres gepumpt und hinterlässt Hohlräume, die früher oder später zusammenbrechen müssen.
Wir in Europa, in Nordamerika und Ostasien gieren nach Wohlstand und hinterlassen weitaus Schlimmeres als nur einen ausgetrockneten Aralsee.
Der CO2 Ausstoß ist nur ein kleines Übel, viel größere Sünden zerstören unsere Welt.
Klimawandel durch CO2?
Über die Seidenstraße kamen schon vor 2.000 Jahren neben vielen anderen Kostbarkeiten Seide und Baumwolle aus China und Indien bis in den Goldenen Halbmond und nach Europa. Den Karawanenhandel betrieben persische und Turkvölker Zentralasiens, den Seehandel alsbald arabische Kaufleute.
1492 ist das Symboljahr für die Europäische Kolonisation der fernwestlichen und fernöstlichen Welt. Zunächst durch Portugiesen, dann durch Niederländer, schließlich durch Engländer wurden die Baumwollschätze Indiens und der reichen Länder um den Indischen Ozean nach Europa geholt. England gewann die koloniale Herrschaft über Indien und wurde zum Baumwollmonopolisten.
1764 ist das Symboljahr für die technische Revolution und insbesondere für die englischen Erfindungen der Textilmaschinen, die sich größtenteils auf die importierte Baumwolle bezogen.
Nun begann der Wettlauf von technischer Überkapazität mal seitens der Weber, mal seitens der Spinner, und begann die Importbeschleunigung indischer Baumwolle. Da Indien zu widerspenstig war, versklavten die ehemaligen Kolonialsiedler in den USA Westafrikaner, prügelten Menschenhändler die Gefangengenommenen zur Handelswaren. Diese Sklaverei, die freilich schon mit dem Zuckerrohranbau in der Karibik begann, erzeugte nun in den USA den Rohstoff der englischen Textilindustrie.
Der industrielle Hunger nach Baumwolle wuchs beständig und wächst weiter, scheinbar grenzenlos. Daher wurde und wird weiter die Suche nach Anbaufläche, billigen Feldarbeitern und Pflückern mit Kriegen beschleunigt.
Seit 100 Jahren streiten die heißen und trockenen Anbaugebiete mit den feuchtwarmen. In den einen wird aufwendig bewässert, in den anderen werden massiv "Schädlinge" bekämpft. Umsomehr, was die billig entlohnte schwere Feldarbeit betrifft. Dort wo Pflückmaschinen eingesetzt werden, drängt sich der konzentrierte Einsatz von Glyphosat und anderer Gifte zwingend auf.
Kurz: Aus dem Urhandwerk des Menschen, dem Ackerbau, aus dem Geschenk der Natur, der Baumwollfaser, wurde in Verbindung mit der kapitalistischen Gier die Unfruchtbarmachung großer Gebiete.
Die Baumwollgier verwandelte die Ackerkultur in ein Schlachtfeld. Soja und Mais stehen nicht nach.
In den abgeholzten Regenwäldern Brasiliens, Indiens und im pazifischen Raum, im Süden Chinas, in den Wechselgebieten von Steppe und Flusslandschaft der südlichen USA und Zentralasiens.
Die ausschließliche Konzentration auf CO2 aus Braunkohlekraftwerken und Dieselmotoren verkennt die zerstörenden Folgen unserer Lebensweise. Auch im feuchtkalten Nordeuropa verhöhnen wir das Gleichgewicht des Wasserkreislaufes. Durch Überdüngung, durch Übernutzung, duch Ausschwemmung von Giften aus der Bauwirtschaft und der Landwirtschaft in unser Trinkwasser greifen wir zerstörend in die Fruchtbarkeit des Landes ein. Wir gießen Beton in die Landschaft, wissend, dass Zement der größte CO2-Ausstoßer ist, pflastern Bauland zu mit Solarparks, um wieder neues Bauland für neue Betonbauten auszuschreiben, produzieren stündlich Berge an Plastikmüll, zerstreuen ihn in die Räume unseres Lebens, in unsere Nahrung, auf die Plätze unserer Welt. Mit ungehemmt wachsendem Stromverbrauch und dessen Erzeugung, mit rücksichtsloser Anhäufung von Ewigkeitskosten zwingen wir spätere Generationen in die Armut.
Wir plündern im Hochland der Anden Lithium und andere Kostbarkeiten, verteilen diese auf unseren Straßen, und schließlich werden die Batterien irgendwann Sondermüll oder Recyclingmüll, wenn nach dem Recycling des Recyclings nichts mehr damit anzufangen ist. Wir haben sehr bald unsere eigenen Aralsee-Symbole. Völlig unabhängig, ob CO2- Bilanzen schön gerechnet werden.
Nicht nur in Zentralasien, auch der Tschad-See in der Sahel-Zone, hatte sein maßgebliches Schwinden von 1950 bis 1980. Sogar der im Regengebiet liegende Victoriasee ist bedroht, schlimmer noch der Turkana-See in Kenia und Äthiopien, der Balchaschsee in Kasachstan, der Bachtegansee im Iran. Überall trocknen Seen aus, wie der Tuz Gölü in der Türkei, wie der Saltonsee in Kalifornien, wie der Chapala-See in Mexiko. Sogar der Baikalsee, trotz seiner enormen Tiefe, verzeichnet sinkende Pegel, wobei hier die Industrie den Zuläufen Wasser entzieht.
Talsperren behindern einerseits den Zulauf großer natürlicher Seen, auf der anderen Seite schafft quasi jede Staustufe einen zusätzlichen künstlichen See.
Stauseen, insbesondere an Wasserkraftwerken in der Nähe von Gletschern verändern die thermische Situation in den oberen Gesteinsschichten bis in das Gestein unter den Gletschern. Auf dem Grund der Stauseen, folglich auch in den benachbarten Gesteinsschichten bedeutet die 4°C-Dichteanomalie eine Erhöhung der Temperatur der Gesteinsauflage, auf der ein Gletscher ruht. Glescher schmelzen dadurch von unten.
Die Beschleunigung der Alpen-Glescherschmelze ist eines der vielen Aralsee-Gleichnisse in Mitteleuropa, ist neben anderen Faktoren auch ein Resultat von Stauseen und Talsperren in der Nähe von Gletscherzungen. Die Auswirkungen auf das Klima in der Mitte Europas kann nur unterschätzt werden; sie sind der Gier nach billiger elektrischer Energie geschuldet.
Wir leben falsch
Der Kohleausstieg ist genehmigt, da dieser nicht das Wirtschaftssystem gefährdet. Er verursacht lediglich eine Renditeverschiebung.
Die Zementherstellung, größter stofflicher Brennstoffverbraucher, wird nicht angerührt.
Ein Umstieg von Gaskolbenverbrennern auf Lithium-E-Antriebe ist deshalb genehm, da der Wirtschaftszweig Automobil erhalten bleibt, lediglich eine Renditeverschiebung nach sich zieht.
Das Kapital strebt auf Verschiebung, wir Menschen aber brauchen keine Verschiebung. Wir brauchen dringend eine Änderung!
Aber Änderung bedeutet: weg von Renditen und Überfluss.
Doch solch eine Änderung ist Feindschaft des bestehenden Wirtschaftssystems.
Viele lokale Klimaänderungen verantworten eine globalen Beobachtung von Klimawandel.
Die Wasserkreisläufe werden duch menschliche Eingriffe verändert:
- Wasserentnahmen durch industriellen Wasserbedarf und landwirtschaftliche Bewässerung
- Entnahmen von Tiefengrundwasser und Wasserzurückhaltung durch Talsperren und Stauseen
- Konzentration von Wasserabführungen durch Flussbegradigungen und Betonversieglung
- Wasserspeicher entfernen durch Trockenlegung von Mooren, durch Melorisation der Äcker sowie durch "effektivierte" Waldnutzung
Die stille Zerstörung der Lebensräume
In Europa gehen wir sehenden Auges in eine Zeit der ausgezehrten Böden, der geschändeten Landschaften, der mit feinem Plastikmüll überzogenen Flächen.
Die eigentlichen Probleme kann man zusammenfassen als Verpestung der Welt.
Die Verpestung ist immer lokal. Kampf gegen sie bedeutet daher viel Arbeit und politische Verantwortung.
Die Voranstellung eines globalen Vereinfachungsproblems wie dem Klimawandel durch CO2 Ausstoß ist politischer Trivialismus.
In diesem Trivialismus beschränkt man die Aktivitäten, die Kohle und Erdöl verbrennen, und fördert Technologien, die das Gegenteil von sich behaupten. Dieser Trivialismus kümmert sich wenig um die Zerstörung und Verödung von Landstrichen, nicht um die Abholzung von Regen-, Moor- oder tundrischen Wäldern, nicht um das Anwachsen der Müllberge, nicht um die Hinterlassenschaften von Bergbau und Kraftwerksruinen, nicht um die Degradierung der Ackerböden, der Ausrottung von Pflanzen und Tieren, das Zerstören der Meeresvegetation.
Landschaften werden heute eingeteilt (*1) in Räume des Freizeitkonsums und in Räume rücksichtsloser Nutzziehung.
Die Landschaften der Freizeit gelten als geschützte Bereiche, in denen mit romantischen Erinnerungen einer beschützten oder bewahrten Natur die Freizeitgeschäfte blühen.
An den übrigen Landschaften interessiert nur Benutzung und Ausbeutung der freien Vorkommen: Luft, Regen, Wind, Sonne, Insekten und so weiter, sowie die vertragliche Plünderung von Bodenschätzen, Wasser, Ackerland und so weiter.
Noch immer speisen die Wasser aus den Hochgebirgen die Flüsse und Kanäle Zentralasiens, machen den Baumwollanbau noch immer möglich, doch der Reichtum um den Aralsee verdorrte, die Wasserreserven späterer Generationen sind verbraucht, die Fruchtbarkeit vieler Felder mit Salz bedeckt.
Auch die Gebiete in Deutschland werfen noch Profite ab, noch geben die Grundwasserreserven her, was späteren Generationen fehlen wird. Doch droht uns Vergleichbares.
Wiesen und Felder werden von verwitterten Plastikteilchen, Folienreste und Hinterlassenschaften von Herbiziden, Insektiziden und Fungiziden bedeckt sein. Die Bewässerungskanäle Zentralasiens haben in Deutschland ihr Gleichnis im Beton, der große Städte trägt, tiefe Fundamente füllt und breiten Trassen bedeckt.
Die Beschleunigung ist nicht mehr zu bremsen.
Oder erhebt sich eine neue Generation mit Verstand und Verantwortung?
(*1 in Anlehnung an Volker Demuth)
ergänzende Literatur: Janna Conen: Wasser- und Bodenverteilung in Zentralasien; Köln 1996